Der Mpemba-Effekt – Wenn heißes Wasser schneller gefriert als kaltes
Es klingt paradox und widerspricht unserer Alltagserfahrung: Heißes Wasser kann unter bestimmten Bedingungen schneller gefrieren als kaltes Wasser. Das als Mpemba-Effekt bekannte Phänomen gibt der Wissenschaft bis heute Rätsel auf – und zeigt einmal mehr, wie überraschend komplex Wasser sein kann.
Eine bemerkenswerte Entdeckung: Von der Schulbank in die Fachliteratur
Der Effekt wurde nach dem tansanischen Schüler Erasto Mpemba benannt, der 1963 während eines Schulprojekts zur Eisherstellung eine merkwürdige Beobachtung machte: Seine noch warme Milchmischung fror schneller ein als die der anderen Schüler, die mit bereits abgekühlter Flüssigkeit arbeiteten. Obwohl seine Lehrer ihm zunächst nicht glaubten, blieb er hartnäckig. Jahre später schilderte er seine Beobachtung einem Physikprofessor – und gemeinsam veröffentlichten sie 1969 einen wissenschaftlichen Artikel über den Effekt. Seither ist der Mpemba-Effekt fester Bestandteil physikalischer Diskussionen.
Interessanterweise ist die Beobachtung keineswegs neu. Bereits Aristoteles, später auch Francis Bacon und René Descartes, beschrieben ähnliche Phänomene. Doch erst Mpemba und seine systematische Herangehensweise machten daraus eine ernstzunehmende Forschungsfrage.

Was passiert da eigentlich? – Erklärungsansätze im Überblick
Trotz vieler Experimente und theoretischer Arbeiten konnte bis heute keine eindeutige, universell gültige Erklärung für den Mpemba-Effekt gefunden werden. Stattdessen gibt es eine Reihe plausibler Theorien – vermutlich wirkt eine Kombination mehrerer Faktoren:
1. Verdunstung: Heißes Wasser verdunstet schneller – dadurch reduziert sich die Wassermenge, die tatsächlich gefrieren muss. Weniger Volumen bedeutet einen kürzeren Gefrierprozess.
2. Konvektion: Im heißen Wasser entstehen stärkere Strömungen (Konvektion), die eine effizientere Wärmeverteilung und -abgabe zur Folge haben. So kann die Temperatur schneller auf Gefrierpunkt-Niveau sinken.
3. Temperaturverteilung im Gefäß: Während kaltes Wasser oft eine gleichmäßigere Temperatur hat, zeigen Messungen bei heißem Wasser eine dynamischere Verteilung – dadurch kann es sein, dass sich lokale Gefrierpunkte schneller bilden.
4. Gehalt gelöster Gase: Kaltes Wasser enthält mehr gelöste Gase wie Sauerstoff oder Kohlendioxid, die die Eisbildung verlangsamen können. Heißes Wasser verliert diese Gase durch Erhitzung.
5. Superkühlung: Unter bestimmten Bedingungen kann Wasser unter 0 °C abgekühlt werden, ohne zu gefrieren. Dieses sogenannte „supercooled water“ bleibt flüssig – bis es durch einen Stoß oder eine Unregelmäßigkeit plötzlich gefriert. Heißes Wasser durchläuft diesen Zustand seltener.
6. Interaktion mit dem Gefäßmaterial: Die Wärmeleitung hängt auch vom Material und Zustand des Gefäßes ab. Es wurde beobachtet, dass sich heiße Gefäße anders mit ihrer Umgebung „vernetzen“ und Wärme gezielter ableiten.
Wann tritt der Effekt auf – und wann nicht?
Der Mpemba-Effekt ist nicht universell reproduzierbar. Er kann, muss aber nicht auftreten. Ob Sie ihn beobachten können, hängt von vielen Faktoren ab:
- Deutlicher Temperaturunterschied zwischen den Wasserproben
- Offene Gefäße mit Verdunstungsmöglichkeit
- Gleiche Volumina und identische Materialien
- Ruhige Umgebung mit stabilen Temperaturen
- Geringe Luftfeuchtigkeit und keine Fremdstoffe im Wasser
- Idealerweise weiches oder gefiltertes Wasser (weniger gelöste Gase)
Interessanterweise tritt der Effekt bei leerem Wasser – z. B. destilliertem Wasser – selten auf. Das deutet darauf hin, dass Verunreinigungen und Strukturveränderungen im Wasser ebenfalls eine Rolle spielen könnten.
Selbstversuch: Der Mpemba-Effekt im heimischen Gefrierfach
Wenn Sie neugierig geworden sind, können Sie den Effekt ganz einfach selbst testen:
- Nehmen Sie zwei identische Glas- oder Metallgefäße.
- Füllen Sie eines mit heißem Leitungswasser (z. B. 80 °C), das andere mit kaltem Leitungswasser (ca. 20 °C).
- Stellen Sie beide Gefäße gleichzeitig – ohne Deckel – nebeneinander in das Gefrierfach.
- Beobachten Sie regelmäßig den Fortschritt der Eisbildung.
Wichtig: Der Effekt zeigt sich nicht immer! Kleine Unterschiede im Gefrierfach – Luftströmung, Position oder Isolierung – können das Ergebnis beeinflussen. Aber der Versuch lohnt sich: Nicht selten friert das heißere Wasser tatsächlich schneller ein.
Fazit: Wasser bleibt rätselhaft
Der Mpemba-Effekt zeigt, dass selbst alltägliche Stoffe wie Wasser noch Fragen aufwerfen können. Trotz jahrzehntelanger Forschung gibt es bis heute keine abschließende Erklärung.
Gerade dieses Zusammenspiel aus Alltagsnähe und wissenschaftlichem Staunen macht Wasser zu einem faszinierenden Element – auch in Ihrem Alltag.